Christkind oder Weihnachtsmann?

Es war einmal eine Zeit, in der herrschte tiefer Unfriede auf der Erde. Überall gab es Krieg und Hass und Terror. Die Großen stritten um Geld und Macht, die Kleinen um die schönste Puppe, das neueste Computerspiel, das beste Smartphone.
Selbst in der Vorweihnachtszeit hörte das Streiten nicht auf. Ganz im Gegenteil: Zu den vielen Kriegen auf dieser Welt, zur schlechten Wirtschaftslage kam noch ein neuer Konflikt dazu. „Christkind oder Weihnachtsmann – wer bringt die Geschenke?“, lautete die Auseinandersetzung.

Rasch hatten sich verschiedene Parteien gebildet, die einander heftig bekämpften. Die Christkind-Fraktion zog goldene Kleider an, setzte Engelshaarperücken auf und organisierte in allen Hauptstädten eine „Pro-Christkind-Demo“. Mit großen Transparenten zogen sie durch die Straßen. „Rettet das Christkind! Stoppt den Weihnachtsmann!“, riefen sie.
Durch ihre Protestmärsche brach in allen Städten der Verkehr zusammen. Die Händler waren verzweifelt. Wenn alles stillstand, wer sollte dann noch in ihre Geschäfte kommen und Geschenke kaufen? Dabei brauchten sie den Umsatz in der Vorweihnachtszeit heuer ganz besonders dringend.

Doch die Pro-Christkind-Fraktion fühlte sich absolut im Recht. Der Weihnachtsmann, das war doch nur so eine Erfindung einer Softdrink-Firma, das war doch gar kein richtiger Himmelsbote, sondern eine Kunstfigur.

Doch die Weihnachtsmann-Anhänger schlugen zurück. „Das Christkind ist einfach megaout, vollkommen veraltet. Wer cool und hip ist, glaubt an den Weihnachtsmann. Das Christkind kann man ja nicht mal sehen, wer weiß, ob es überhaupt existiert. Der Weihnachtsmann ist ein Typ zum Anfassen, mit dem kann man Spaß haben. Ein echter Kerl mit dickem Bauch und roten Backen, nicht so wenig fassbar, wie das Christkind“ – so lautete die Botschaft, die auf Dutzenden Social-Media-Kanälen verbreitet und per WhatsApp-Nachricht verschickt wurde. Die Christkind-Fraktion hielt dagegen, und schon tobte der Hass im Netz, von vorweihnachtlicher Stimmung war nichts zu spüren.

Am Vormittag des Heiligen Abends kam den Menschen plötzlich zu Bewusstsein, dass sie in ihrem Streit auf die Vorbereitungen zum Fest vergessen hatten. Kein Baum stand im Wohnzimmer, keine Keksdosen in den Küchen und keine Geschenke versteckt in den Schränken. Nun wollten sie das alles nachholen und stürmten zu den Geschäften und den Christbaummärkten. Aber – oh weh – die Geschäfte waren geschlossen und die Christbaumverkäufer verschwunden. Inzwischen war es dunkel geworden. Die Menschen gingen langsam und mit gesenkten Köpfen heim.

Es wären traurige Weihnachten geworden, wenn nicht der Weihnachtsmann und das Christkind schon lange dem Treiben der Menschen von oben zugeschaut hätten. „Siehst du das?“, fragte der Weihnachtsmann. „Selbst das Weihnachtsfest ist für die Menschen nur Anlass zu Zank und Hader! Dabei sind wir doch beide Gabenbringer! Haben die Menschen das vergessen?“ Das Christkind schaute still auf die Erde hinunter. „Nein, vergessen wohl nicht. Aber so vieles ist wichtiger geworden als die Liebe.“

Als die Menschen in ihre Häuser und Wohnungen zurückkamen staunten sie sehr. Denn es blinkte und strahlte in den Wohnzimmern und ein köstlicher Duft zog sich durch die Räume. Da waren ja die Christbäume und die Weihnachtkekse und in den Straßen strahlte die Weihnachtsbeleuchtung und die Menschen strahlten mit. Kühlschränke und Backöfen waren mit Leckereien gefüllt und bei jenen, die ans Christkind glaubten, lag unter jedem Baum ein großes Paket. Jene, die an den Weihnachtmann glaubten, fanden große Stiefel am Kamin stehen.

Was drinnen war in den Paketen und Stiefeln? So ganz genau weiß ich das nicht, aber es muss viel Liebe drinnen gewesen sein, denn die Menschen waren glücklich, für einen Abend waren Zorn und Hass vergessen.

Ach, ihr wollt noch wissen, wie es möglich war, dass alle Menschen gleichzeitig Weihnachtsbaum und Kekse und Stiefel und Pakete bekamen? Tja, da müsst ihr schon das Christkind oder den Weihnachtsmann fragen. Irgendwie habe ich das Christkind „Zusammenarbeit“ und den Weihnachtsmann „Teamwork“ flüstern gehört, und ganz leise habe ich auch das Wort „Schwarm-Intelligenz“ vernommen – aber vielleicht habe ich das alles ja auch nur geträumt …

Mag. Brigitte Wagner
Senior Experts

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